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Was wir von unserem Karate erwarten können.

Die Feststellung eines technischen  Ausbildungsplanes im Dôjô.

Ich suche nicht, ich finde.
Suchen ist das Ausgehen von alten Beständen und ein Findenwollen von bereits Bekanntem. Finden ist das völlig Neue. – Pablo Picasso

Nach jahrzehntelangem Suchen und Ringen habe ich einen inhaltlichen Rahmen dessen geschaffen, was im Dôjô in technischer Hinsicht gelernt werden soll. Das hat viel mit der Frage zu tun: "Was ist Karate?"

Die großen Stilrichtungen des modernen Karate wie Shôtôkan, Gôjû-Ryû, Wadô-Ryû und Shitô-Ryû, aber auch andere wie Kyokushinkai, Ryûei-Ryû oder Uechi-Ryû definierten sich dadurch, daß sie im vergangenen, also dem 20. Jahrhundert,  einen mehr oder weniger umfangreichen Katalog an Katas festgelegt haben, der ihre jeweilige Stilart hinsichtlich des technischen Repertoires abschließend beschreibt. Die Art und Weise der technischen Ausführung der Bewegungen, die im Rahmen der Katas ausgeführt werden, gibt den Stilen  ihren jeweils spezifischen formalen Anstrich und Ausdruck. Sie legen aus ihrer jeweiligen Sicht fest, was Karate ist.

Während bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Rahmen einer Karate-Tradition nur zwei oder drei Katas geübt wurden, kann heute die Zahl der praktizierten Katas in den modernen Stilarten sehr groß sein. So gibt es beispielsweise im Shitô-Ryû mehr als siebzig stilbeschreibende Katas, die in Gruppen den Dangraden bis zum 8. Dan zugeordnet sind. Im Shôtôkan zählt man  etwas weniger als dreißig Katas, das Wadô-Ryû weist einschließlich der stilspezifischen Zwei-Mann-Formen noch ein paar weniger auf.

Bis heute ist es das Bestreben aller Karateorganisationen, ihren Anhängern zu vermitteln, daß sie alle zum Stil gehörenden Katas "können" müßten. Das ist, offen gesagt, schwierig, teilweise unmöglich, weil der Übungsaufwand, der nötig ist, um die jeweils stilbeschreibenden Katas rein sequentiell, aber auch technisch memorieren zu können, erheblich ist.  

Das "Können" von Karate erschöpft sich jedoch nicht im "Abspulen" oder "Aufführen" der Formen. Wer Karate - und damit eine bestimmte Kata - lernen möchte, verfolgt individuelle Ziele: manche möchten an Wettkämpfen teilnehmen, andere ein Hobby entwickeln, Fitness erwerben, Selbstverteidigung erlernen und vieles mehr. Einige haben auch davon gehört, daß man Karate als spirituellen Weg üben könne. Wer danach sucht, sucht allerdings hierzulande lange und meist vergeblich.

Jede Zielsetzung hat ihre eigene innere Rechtfertigung und alle Zielsetzungen sind prinzipiell gleichwertig. Aber nicht jedes Karatetraining kann automatisch allen Zielsetzungen gleichermaßen gerecht werden. Jede Zielsetzung erfordert ein speziell ausgerichtetes Training, das sich von einen Training, das einen Übenden auf andere Zielsetzungen ausrichtet, erheblich unterscheiden muß.

Im Keiko-kan Dôjô in Wiesloch hat sich meinem persönlichen Interesse entsprechend eine selbstverteidigungsorientierte Übungsweise herausgebildet. Wirksames Selbstverteidigungstraining erfordert Routine. In den letzten Jahren habe ich mich daher entschlossen, die Zahl der im Dôjô geübten Katas, auf denen unsere Praxis letztlich beruht, drastisch zu reduzieren. So ist die Fokussierung auf eine selbstverteigungsrelevante Praxis möglich.

Im Grunde ist aber selbst unser eng umgrenztes Kata-Kurrikulum im Keiko-kan Dôjô immer noch zu groß. Wir haben jetzt für die Schülergrade bis zum ersten Dan immerhin noch die Katas Heian 1-5 , eine Sanchin-Variante und die Tekki-Katas 1-3 festgelegt. Das ist, wenn man in die Tiefe gehen möchte, angesichts der Tatsache, daß die Schüler durchschnittlich maximal zweimal in der Woche zum Training kommen und in vielen Fällen für sich zu Hause nicht üben, immer noch ein äußerst ehrgeiziges Programm.

Aus den genannten Formen haben wir nämlich umfangreiches Übungsmaterial entwickelt. Wir leiten aus den Katas Grundübungen ab und festgelegte Partner-Drills. Ab der Kata Sanchin, die wir dem 4. Kyû zuordnen, legen wir den Schwerpunkt der Anwendungspraxis mehr auf das Verständnis und die Umsetzung von Prinzipien als auf festgelegte Drill-Abläufe.

Zudem haben wir die traditionelle Kihon-Praxis der modernen Stilrichtungen, die wir jahrelang nur stiefmütterlich behandelt haben, inzwischen in einer vereinfachten Form  wieder aufleben lassen. Anhand dieser Übungen können bestimmte technische und atemorientierte Routinen und Bewegungsmuster sehr systematisch eingeübt werden.

Von diesem Gesamtprogramm, das Kata, Bunkai-Drills und Partnerübungen sowie unsere Kihon-Praxis umfaßt, erhoffen wir uns Effekte, die folgenden Zielsetungen gerecht werden sollen:

1. Die Möglichkeit reflexartiger Anwendung jahrelang praktizierter Übungsmuster in realen Selbstverteidigungssituationen.

2. Ein ausreichend vielseitiges Übungsprogramm, das sowohl intellektuell als auch körperlich anspruchsvoll und befriedigend ist. Hier gehen wir hinsichtlich der Selbstverteidigung einen Kompromiß ein: Wir verzichten auf eine einhundertprozentige kampf- oder selbstverteidigungsorientierte Übungsweise zugunsten ausgleichs-"sportlicher" Überlegungen.

3. Durch die Standardisierung unserer relativ einfachen Übungsroutinen halten wir einen Weg zu meditativen Übungsauffassungen offen. Dies kommt Praktizierenden entgegen, die an spirituellen Übungsformen interessiert sind.

Eine Zusammenfassung unserer Übungsstruktur wird ab Dezember 2017 nach und nach in der PDF- Bibliothek unter der Rubrik "Info" hinterlegt. Derzeit ist die online- Darstellung noch nicht vollständig, aber im weiteren Aufbau begriffen.